Knappschaft des Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenreviers e.V. 1990 - Macht Kohle - 2024
Knappschaft des
Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenreviers e.V.

Joe Jacob - Ein Bergkamerad auf Wanderschaft

Ein Bergkamerad auf Pilgerfahrt

Unser Knappschaftsmitglied und Bergkamerad Joe Jacob hat sich aufgemacht eine Pilgerfahrt auf dem Jakobsweg von Zwickau nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens zu unternehmen.
Diese über 3000km auf den eigenen Füßen wird Joe hier in regelmäßig unregelmäßigen Abständen dokumentieren.

Mit dem Segen der Knappschaft soll es Joe Freude und Entbehrung - Läuterung und Erleuchtung auf seinem Wege bringen.

Der Weg ist das Ziel: Compostella - Porto - Lille 8. Eintrag vom 08.12.2019

Liebe Leserinnen und Leser, dies ist mein letzter Bericht. Ich befinde mich hoch über den Wolken. Lange ist mein letzter Flug her. Solange, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Vielleicht ist folgende Erwähnung überflüssig: zu Fuß bewege ich mich deutlich lieber fort. Doch dieser Flug von Santiago nach Paris ist außergewöhnlich. Er bringt mich an einen ganz neuen Ausgangspunkt, nämlich in das nordfranzösische Lille, denn dies ist die Heimat meiner wundervollen Gefährtin. Dem geneigten Leser möchte ich jedoch meine Eindrücke von der iberischen Halbinsel und die letzten Tage meiner Wanderschaft, der zugleich Beginn eines gemeinsamen Weges in die Zukunft ist, keineswegs vorenthalten.

Mit dem Wetter hatte ich bis Finisterre und dem an der Küste nördlich davon gelegenen Muxia sehr großes Glück und brauchte mir keine Gedanken über Schlafplätze und Möglichkeiten zum Trocknen der Kleidung zu machen. Es war wirklich märchenhaft. Jeden Tag kam ich durch schöne Wälder auf den Bergen der felsigen Küste und jeden Tag konnte ich im Meer baden. Die Strände waren zu dieser Zeit zudem schon nicht mehr so überlaufen. Etwas Neues waren für mich in Spanien die unzähligen Pilgerunterkünfte in ihrer Vielfalt. Dort schließt man nicht nur neue Bekanntschaften, sondern sieht auch viele bereits bekannte Gesichter wieder. Bleibenden Eindruck hinterließ vor allem der Aufenthalt in einem Kloster bei mir. Am Abend saß man in gemeinsamer Runde und jeder stellte sich vor. Im Anschluss spielten die Nonnen Gitarre und sangen. Ein jeder konnte einstimmen. Satt wurden wir schließlich auch, denn es gab ein umfangreiches Abendessen, zu dem jeder seinen Beitrag leisten konnte.

Trotz solcher geselligen Zusammenkünfte in der Pilger-Schicksalsgemeinschaft genoss ich weiterhin traumhafte Nächte an der Küste. Bald änderte sich das Wetter jedoch komplett und ich musste täglich ein Dach über dem Kopf finden. Auf dem portugiesischen Jakobsweg schlief ich überwiegend in Herbergen, denn Regen und starker Wind sind keine guten Schlafgesellen. Die Küste Portugals ist unserer Ostseeküste recht ähnlich, doch findet man in Portugal sehr viele Felsen in und am Wasser. Die Portugiesen habe ich als ein angenehmes und gastfreundliches Volk erlebt. Sie sind bei weitem nicht so temperamentvoll wie die Spanier und sprechen die Sprache ihres historischen Verbündeten: Englisch. Mein Ziel war nun Porto, eine Stadt deren Ruf weit vorauseilt. Und es ist wahr: wer gern Städte besucht, wird ganz sicher auch an Porto deine Freude haben. Die Stadt mir ihrer alten wirklich malerischen Bausubstanz liegt an einem tiefen Flusstal und erstreckt sich bis an die Küste.

Dort sollte ich meine Französin nach so langer Zeit wieder sehen. Leider hat es sich nun ausgerechnet so ergeben, dass sie sich mir erst im Herbst anschließen konnte. Eines Novembertages wartete ich also sehnsuchtsvoll auf den verspäteten Flug aus Lille und endlich hielten wir uns in den Armen. Mit Unterstützung der Bahn gelangten wir bei langen Fussmärschen wieder nach Santiago, wo ich zum Abschluss meines Weges eine Kerze in der Kathedrale anzündete.

Bisher habe ich damit gezögert, philosophische Gedanken in einen Bericht zu packen, doch jetzt ist es angebracht. Auf dem Weg habe ich gelernt, das übermäßige Planen aufzugeben und stattdessen zu vertrauen. Man weiß doch bis zuletzt nie, wie es kommt. Es gibt keine Sicherheit im Leben und alles ist permanent im Wandel begriffen. Wir mir eine Abtissin verriet, sollte man sich nicht zu sehr auf das fokussieren sollte, was man selbst will, denn viele Möglichkeiten kann man auf diese Weise verpassen. Wichtig ist es jedoch in eine bestimmte Richtung zu gehen, für die man sich entscheiden muss.

Fragen, wer ich bin und was ich will haben mich auf dem Jakobsweg anfangs sehr und dann immer weniger beschäftigt. Mir ist klar geworden, dass mich stunden- oder tagelange Überlegungen nicht entschieden weiter bringen. Auf Gefühle ist auch kein Verlass. Sie ändern sich ständig. Woran soll man sich also halten? An die Möglichkeiten, die das Leben bietet in Verbindung mit den momentanen Gefühlen und ein paar vernünftigen Überlegungen können bei der Wahl der Richtung helfen. So kommt es, dass ich jetzt hier bin, Französisch lerne und mich darum bemühe demnächst als erster in Lille deutschsprachige Stadtführungen zu geben. Sich für eine Richtung zu entscheiden ist immer riskant. Man muss sich der Angst stellen, einen Umweg zu gehen oder gar in eine Sackgasse zu geraten. Angst kann jedoch nur aus einem selbstbezognenen Standpunkt heraus bestehen. Doch das Leben will, dass wir uns regen und unseren Weg gehen. Uns wurden Fähigkeiten und Potentiale auf den Weg gegeben, die wir entfalten und gebrauchen sollen. Darum geht es. Und das größte Potenzial, von welchem in jeder Religion die Rede ist, ist das Potential zur Liebe, die die meisten von uns verlernt haben.

Mein Bericht endet, während ich schon 18 Tage in Lille verbracht habe. Ich freue mich, das hiesige Bergbaurevier Nord-Pas-de-Calais mit seinen zahlreichen Fördertürmen erkunden zu können, vermisse aber die liebe Heimat in ihrem Lichterglanz sehr. Hiermit wünsche ich allen Mitgliedern des Sächsischen Landesverbandes der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine gelungene Bergparaden und eine besinnliche Weihnachtszeit.
Glück auf!



Fragen und Antworten - 7. Eintrag vom 25.11.2019

Gestern habe ich Porto erreicht. Ein erneuter gemeinsamer Pilgerweg in deutsch-französischer Partnerschaft wird bald beginnen. Hier in und um Porto habe ich wirklich das Gefühl, dass der Weg sich gemeinsam mit diesem Jahr seinem Ende entgegen neigt. Der Himmel ist meist grau, es stürmt, es regnet. Diesmal habe ich für euch jedoch keinen Bericht, sondern ein kleines Interview, in welchem ich euch Fragen beantworte, die an mich gestellt wurden. Viel Spaß beim Lesen!

Frankreich oder Spanien?
Ganz klar Frankreich. Ich vermisse es total und will unbedingt die Sprache lernen. Am meisten gefällt mir natürlich die Natur, aber ich bin dort auch vielen netten Menschen begegnet, insbesondere jener Dame, welche in den letzten Berichten immer wieder Erwähnung fand. Nun muss ich fairerweise dazu sagen, dass ich nur bestimmte Ausschnitte der Länder erleben durfte. In Frankreich gelangte ich durch keine einzige Stadt, die über 60.000 Einwohner zählt, während in Spanien schon die erste Stadt so groß war. In Frankreich durfe ich über weite Strecken durch anscheinend unberührte Natur wandern. In Spanien höre ich dagegen sehr oft Straßenlärm. Dann hat man in Spanien jedoch auch wieder sehr eindrucksvolle Landschaften. Zwar musste ich oft stundenlang Straßen entlang laufen, aber das habe ich schon fast wieder vergessen. Hängen geblieben sind die märchenhaften Steilküsten und die Nächte beim Klang des Ozeans. Frankreich hat dafür schönere und größere Wälder, wo ich mich so richtig wohlfühlen kann. Ich durfte in diesem Lande zudem mehrmals private Gastfreundschaft genießen. So konnte ich die Kultur dort besser kennen lernen. Am besten hat mir das Essen als ein Ritual gefallen. Essen hat in Frankreich einen hohen Stellenwert. Es gibt stets mehrere Gänge und die Familie isst gemeinsam. Ausnahme hierbei ist allerdings das Frühstück. Abschließend möchte ich dazu sagen, dass die regionale Kultur in beiden Staaten, insbesondere jedoch in Spanien sehr verschieden ist. Alles in allem hat es mir in Frankreich besser gefallen.

Mittagsmenue oder Brotzeit?
Bei mir gab es die meiste Zeit Müsli mit Wasser, bittere Schokolade, Fruchtsäfte, Brot und Käse. Warmes Essen war stets ziemlich feierlich und etwas ganz besonderes. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mit meiner Gefährtin in Cahors nach so langer Zeit etwas richtig leckeres gekocht habe und dann auch so viel essen konnte, wie ich wollte. Wichtig ist es jedoch, vor dem Abend nicht zu viel auf einmal zu essen. Essen macht müde und außerdem kann der Rucksackgurt sehr auf den Magen drücken. Also lieber viele kleine Mahlzeiten.

Navigation analog oder digital?
Die Beschilderung ist in Richtung Compostela sehr gut. Ich benutze jedoch oft zusätzlich die Applikation "mapy.cz" aber auch Google Maps. Diese helfen mir manchmal dabei Schlafplätze (Schutzhütten z.B.), Essen, oder Wasser zu finden. Jetzt, wo es in die andere Richtung geht, brauche ich sie sehr oft, um den Weg zu finden. Spanier wollen mich immer wieder in die andere Richtung schicken. Dann sage ich nur: "Porto" oder "Fatima". Auf dem Inlandsweg gab es blaue Pfeile Richtung Fatima. Jetzt bin ich auf dem Küstenweg und es ist schwieriger.

Tageszeitungsschau oder Informationsverknappung?
Nachrichten von entfernten Gegenden interessieren mich nicht wirklich. Ich kann nur hier etwas bewirken und was hier passiert bekomme ich ja ebenso wie die ganz wichtigen Nachrichten von ferne mit.

Umweg oder gradeaus und durch?
Unterschiedlich. Manchmal Umwege, um Schlafplätze zu finden oder weil sie schöner sind. Manchmal Abkürzungen, weil die Gegend nicht schön ist, oder aus anderen Gründen. Meistens den offiziellen Weg, weil ich ihn am einfachsten finden kann. Jetzt habe ich viel Zeit bis Porto, also kann ich den längeren Küstenweg laufen. Aber auch zuvor bin ich längere Varianten gelaufen. Der kürzeste Weg wäre über Vezaley und dann auf dem Camino Frances verlaufen. Da ich aber den Weg über Le Puy en Valey und dann von Saint Jean P.d.P. auf den Camino del Norte nach Irun gewechselt bin, hatte ich einen 200 bis 300 km längeren Weg als eigentlich nötig. Mit diese Entscheidung bin ich auf jeden Fall sehr zufrieden.

Wieviel kg Gepäck trägt Mann wirklich?
Das ändert sich mit dem Proviant und auch viel Ausrüstung habe ich gewechselt. Ich schätze 14kg ohne Proviant, aber es kann auch mehr sein. Am Anfang waren es 15,5 kg. Wasser nehme ich längst nicht mehr über große Strecken mit und Proviant hält sich ebenfalls in Grenzen.

An welchem Zeitpunkt denkt man an ein Hotelzimmer mit Badewanne?
Daran habe ich noch nie gedacht. Eher erinnerte ich mich an den Luxus ein warmes und trockenes zu Hause zu haben, wo man jeden Tag zurück kehren kann. Das war so, als es mehrer Tage geregnet und gestürmt hat. Meine Stiefel waren bis zum Rand mit Wasser gefüllt und ich habe sie tagelang nicht mehr trocken bekommen. Eine heiße Dusche hatte ich in dieser Zeit jedoch einmal und das tat richtig gut. Obwohl es nachts schon nur noch 8 Grad Celsius sind, zog ich es noch lange vor Freien zu schlafen. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl.

Immer Schuhe und Socken oder zur Abwechslung auch mal barfuß?
Aufgrund von Blasen an den Füßen lief ich einmal ziemlich lange barfuß, aber das habe ich schnell aufgegeben. Wenn der Asphalt glatt oder die Wiese weich ist, geht es, aber sonst eher nicht. Ich habe eine Pilgerin getroffen, die fast nur barfuß gelaufen ist. Sie hat am Ende große Probleme mit den Füßen bekommen und nahm Schmerzmittel.

Mehrere Pausen am Tag oder längere Zeit "Füße hochlegen" am Abend?
Pausen sind das beste vom ganzen Weg. Wenn die Landschaft schön ist, mache ich viele Pausen. Essen kann ich nicht so viel auf einmal, also viele kleine Essenspausen. Eine lange Pause hatte ich oft um die Mittagszeit zum Essen und Handy aufladen. Am Abend brauche ich keinen überflüssige Zeit, denn das ist alleine langweilig. Viele Pilger kommen zwischen 1 und 4 Uhr in ihrer Herberge an. Sie stehen sehr zeitig auf und laufen, bevor es ihnen zu heiß wird. Vor allem in Frankreich lief ich gerne am Abend, weil ich dann alleine war und mich nicht wie auf einer Völkerwanderung gefühlt habe. In Spanien sind hingegen viele Menschen noch zu später Stunde unterwegs und man hat an einigen potenziellen Schlafplätzen erst nach 11 Uhr seine Ruhe. Wetterbedingt schlafe ich mittlerweile häufiger in den günstigen Herbergen. Dort lernt man viele nette Menschen kennen und es ist gut, zeitiger da zu sein. Schließlich kann dann auch Wäsche per Hand gewaschen, geduscht, aber auch gekocht werden. Das sind alles schöne Abwechslungen vom Wanderalltag.

Wieviel Paar Schuhe haben deinen Weg nicht überlebt?
Vier Paar, wenn man ein Paar Sandalen mitzählt, mit denen ich die Pyrenäen überquert habe. Schon in Nürnberg hatten meine ersten Stiefel innen Löcher, was zu Blasenbildung führte. Die dort gekaufen HanWag-Stiefel aus Leder hielten am Ende auch nicht ewig, aber immerhin habe ich es mit ihnen bis zu den Pyrenäen geschafft. In Santander kaufte ich wegen Fussschmerzen neue Stiefel mit ganz harter Sohle. Es waren richtige Bergstiefel und diesmal nahm ich zwei Nummern größere, weil die HanWag mir doch zu eng waren. Aber auch diese neuen Stiefel bekamen innen Löcher. Jetzt habe ich seit Santiago wieder einfache Wanderstiefel und hoffe, dass sie noch bis zum Schluss durchhalten.

Ist es dir unterwegs schwer gefallen etwas zurückzulassen?
Es fiel mir immer schwer, mich von lieben Menschen so schnell wieder verabschieden zu müssen. Auf der materiellen Seite habe ich auch viel zurück gelassen und es war immer eine spürbare Erleichterung. Oft habe ich Sachen verschenkt. Am ehesten fiel es mir vielleicht schwer, Bücher in den Tauschbörsen abzugeben, aber sie wiegen nun einmal ziemlich viel.

Nach hause telefonieren oder sich schriftlich melden?
Meine Eltern haben sich kurz nach meiner Abreise ein Smartphone zugelegt. So haben wir über den Messenger WhatsApp Kontakt. Selten rufe ich auch zu Hause an. Ansonsten habe ich natürlich Postkarten an Familie und Freunde verschickt.

Im Sommer mal baden gehen oder rechtzeitig ein Schlafquartier suchen?
Im Sommer ging es öfters ins Meer baden und zwar meist nachmittags, wenn es am heißesten war. Vor Spanien war ich allerdings fast nie baden. Ganz am Anfang habe ich mich in der Talsperre Pöhl gewaschen, aber häufig scheinen mir die Gewässer zu unsauber und dann hätte ich vielleicht schmutziger als zuvor oder mit Fischgeruch weiter ziehen müssen. Gerade in Frankreich sahen die Flüsse nicht sehr sauber aus, ich kann mich aber erinnern in einem Wasserfall im Gebirge geduscht zu haben, was sehr erfrischend war. Da die Tage im Sommer sehr lang sind, hatte ich selten gegen Abend Zeitprobleme.

Hat sich die Anzahl deiner Tageskilometer mit "zunehmendem Training" verändert?
Die zurück gelegte Strecke ändert sich täglich, aber ich bemerke kaum, dass ich eine viel bessere Ausdauer hatte, als am Anfang. Denn auch zu Beginn lief ich über 30 km am Tag. Manchmal bin ich weit über 40 km gelaufen, aber am nächsten Tag hat sich das bemerkbar gemacht. Dann gibt es auch Phasen, in denen ich mir einfach Zeit lasse, um den schönen Weg zu genießen oder es ist etwas anderes, das mich schon vorzeitig dazu bewegt, nicht weiter zu gehen, wie die Wallfahrt in Marienweiher.

Gab es Musik, die dich begleitet hat?
Mittlerweile habe ich aufgehört, Internetradio oder gespeicherte Musik zu hören. Es gibt viele Pilger, die immer Kopfhörer tragen. Das ist schade. Durch das Musik hören bin ich zwar oft schneller gegangen und habe mich von unschönen Streckenabschnitten auf der Straße ablenken können, die Ablenkung findet jedoch auch innerlich statt und das Pilgern ist vor allem als eine innere Reise anzusehen. Allerdings habe ich bestimmte Songs beim Pilgern thematisch sehr passend gefunden. Zudem versuchte ich Mundharmonika zu spielen und neue Lieder zu singen. In Frankreich gibt es ein Lied der Pilger, dessen deutsche Übersetzung ich gelernt habe. Viele haben mit mir den lateinischen Refrain gemeinsam gesungen, eine Slowakin wollte sogar den ganzen deutschen Text bis Santiago lernen, nachdem sie das Lied von mir gehört hat. Das Lied heißt "Ultreia" (lat. "weiter"). In Santiago habe ich einen Ring gekauft, auf dem ebendieses Wort steht. Es bedeutet für mich: "Gehe deinen Weg und habe Vertrauen! Gib' nicht auf, egal was auch passiert!". Als Sänger im Zwickauer Knappenchor habe ich auch oft den Bergchoral "Herr, der du meine Pfade lenkst" gesungen, aber auch manches Lied Anton Günthers ging mir über die Lippen. Besonders in schwierigen Situationen ist singen sehr hilfreich. Nachts habe ich im Übrigen oftmals nicht nur den Wald und das Meer als ein schönes Gute-Nacht-Lied, sondern auch Kirchenglocken gehört. Im Elsass und im Schwarzwald hatten diese eine bestimmte Melodie. Eine noch umfangreichere habe ich über den Grenzfluss Rio Miño aus Portugal gehört.

Was hat dich am meisten überrascht?
Was mich insgesamt auf meiner Reise überrascht hat, ist die Hilfsbereitschaft vieler Menschen, die mich wie selbstverständlich aufgenommen haben. In Spanien hatte ich wenige, aber dafür eine besonders große Überraschung. Spät abends (nach 21 Uhr) pausierte ich an einer großen Straße in einer Stadt. Plötzlich kam jemand von der andern Straßenseite und brachte mir reichlich Essen. Ein wenig später kam sogar noch die Frau des Mannes und brachte mir Besteck und Serviette. Ich hatte an diesem Samstag aber schon viel Essen für den Folgetag eingekauft und war alles andere als bedürftig. In den Momente, in denen ich solche Hilfe bekomme oder wie ein Bruder behandelt werde, bin ich dankbar Teil dieser großen weltumspannenden Menschenfamilie zu sein und will mich gegenüber anderen genauso verhalten. Sich gegenseitig zu unterstützen ohne eine Gegenleistung zu erwarten, ist ein unermesslich kostbarer Akt der Liebe.




Compostela - 6. Eintrag vom 17.10.2019

Liebe Leserinnen und Leser, nach 126 erlebnisreichen Tagen und etwa 3300 Kilometern Fußmarsch habe ich den Ort erreicht, der schon in meiner Geburts- und Heimatstadt Zwickau mit einer stilisierten gelben Muschel auf blauem Hintergrund ausgeschildert ist. Ich werde dieses Symbol nie wieder mit dem gleichgültigen Blick von einst sehen. Vor meinem inneren Auge sehe ich einen Weg, der mich verändert und wachsen lassen hat. Aber natürlich werde ich auch an diese Stadt mit ihrer großartigen Kathedrale denken. Eine Stadt, die schon seit über 1200 Jahren Pilger aus aller Herren Länder anzieht, weil dort die Gebeine des Apostels Jakob liegen und wer weiß, vielleicht ist auch einer meiner Vorfahren darunter, sodass man ihm den Namen Jacob verliehen hat.

Der Jakobsweg ist für jeden ein ganz persönliches Erlebnis. Man sagt, es sei ein Weg zu sich selbst, also ein innerer Weg. Als ich meine Compostela erhielt, sollte ich meine Motivation angeben. Für mich war es weder eine religiöse noch eine touristische Motivation, sondern eine spirituelle. Täglich musste ich darin üben los zu lassen. Anstelle von vermeintlicher Sicherheit kam ich zu Vertrauen. Es ist das Vertrauen, mit jeder Situation zurecht zu kommen. So bin ich sicher etwas gelassener geworden. Tag um Tag erlebe ich, wie unbeständig Gefühle, Gedanken und äußere Umstände sind. Das ist ja eigentlich nichts Neues, doch auf dem Weg erlebe ich es viel klarer ohne Ablenkungen. Auf diese Weise habe ich auch deutlicher als zuvor vernommen, was mir im Leben wichtig ist.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich danke sagen - danke für all' die Gastfreundschaft, die gemeisamen Stunden mit Gefährten, die wunderschönen Nächte im Freien, das gute Wetter, die gute Beschilderung, die abwechslungsreiche Landschaft, die öffentlichen und kirchlichen Einrichtungen (Herbergen, Toiletten, Kirchen, Touristeninformationen usw.) und nicht zuletzt für die wundervolle Frau aus Frankreich, die ich bald wieder sehen werde. Den langen Weg gemeistert zu haben, verdanke ich vielen anderen Personen und guten Umständen!

Ein herzliches und friedvolles Glück auf!



Abschied aus Frankreich - 5. Eintrag vom 30.09.2019

Liebe Leserinnen und Leser, heute habe ich die spanische Grenze überschritten und es sind nur noch etwa 900km bis Santiano de Compostela, während ich bereits über 3 Monate unterwegs bin. Wie verliefen die letzten Tage seit meinem letzten Bericht?

Während ich weiterhin nur noch draußen schlafe, bzw. auch in Kirchen und Kapellen, begegnete ich immer wieder bestimmten Personen, welche im selben Tempo wie ich unterwegs sind. Diese haben den Weg zumeist bereits abgebrochen. Jene, die den ganzen Weg gehen, wählen in der Regel den alten Hauptweg, den Camino Frances und in Saint Jean Piet de Port trennten sich unsere Wege. Doch im Geiste und im Herzen geht meine liebe Gefährtin den Weg mit mir gemeinsam. Dazu möchte ich euch eine kleine Geschichte erzählen.

Es ist noch keine Woche seit unserem Abschied vergangen, da schreibt sie mir: "Poste rasante" für dich - sie hat mir einen Brief an die Post in Saint Jean Piet de Port geschickt. Von zu Hause erwarte ich dort bereits eine Sendung, denn pünktlich vor den Pyrenäen brauche ich meinen warmen Daunen-Schlafsack und ein paar Sachen mehr. Nun bin ich also in einer ganz neuen Situation, denn ich muss schnell ein Ziel erreichen. Leider setzen mir vier oder fünf Blasen an den Füßen ganz schön zu.

Nach einer Nacht unter einer knorrigen Eiche, die mich mit ihren Eicheln nicht traf, erblicke ich das gewaltige Gebirge schon von weitem und bin sehr beeindruckt. Vier Tage sind noch zu laufen und ich werde dabei immer schneller. Freitagabend in Saint Jean P.d.P. ankommend suche ich bei der Zitadelle einen Platz zum schlafen. Die dortige Brücke bietet ein optimales Versteck. Bisher habe ich noch nie unter einer Brücke geschlafen, doch diese soll es sein: keine Scherben und kein unangenehmer Geruch. In der Nacht finde ich dennoch keinen Schlaf. Die Fledermäuse kreisen über mir und schützen mich vor Mücken, aber in meinem Kopf wachsen neue Pläne für die Zukunft. Auch die Ungewissheit über meine Post beschäftigt mich. Was hat sie mir geschrieben? Und kommen meine lebenswichtigen Pakete an?

Zeitig stehe ich auf. Es ist kalt und das Einpacken in Windeseile erledigt. Erstes Ziel ist das Pilgerbüro. Das tägliche Tampon wartet bereits auf mich. Bis auf das Pilgerbüro hat noch kein Laden und vor allem keine Post geöffnet. Ich treffe ein und lade erst einmal mein Handy auf. Währenddessen beobachte ich die eintreffenden Pilger. Für die meisten beginnt die Reise hier. Sie kaufen sich ihre Credential für die Stempel, die hier immernoch "la tampon" heißen für nur 2 Euro (andernorts wollte man mehr als 7 dafür!). Woher kommen nun all diese Pilger? Wie ich mitbekomme, sind unter ihnen Kanadier, Australier, Koreaner und Berliner. Letztere gehen in zwei Wochen nur 200 Kilometer. Am Tag zuvor habe ich bereits zwei Pariser getroffen, die ab Le Puy 25 Tage länger als ich gelaufen sind und das waren keine Alten. Andere, die ich getroffen habe, schaffen es dagegen nicht, weniger als 40 Kilometer am Tag zu laufen, obwohl sie langsamer laufen wollen. Sehr unterschiedlich sind die Menschen also.

Nun aber ab zur Post! "Zwei Packte und einen Brief bitte. - poste restante". Oh, es gibt nur ein Paket. Ich kann jetzt schon sehen, dass es nicht das Paket mit dem Schlafsack ist. Eine Welt bricht für mich in diesem Moment zusammen. Welch Enttäuschung.

Aber es muss weiter gehen. Den Brief und die Sachen bringe ich in meinem Rucksack unter und mache mich auf den Weg zum Sportgeschäft. Will ich danach wieder etwas heim schicken, muss ich mich beeilen. In letzter Minute schaffe ich es schließlich, einen neuen Schlafsack für kältere Nächte zu kaufen und fast 2 Kilogramm anderes Gepäck heim zu senden.

All' mein Gram über die unnötigen hohen Ausgaben verflog bald darauf sehr schnell. An einem ruhigen Ort halte ich Mittagspause und öffne den Brief. Welch Überraschung! Es ist kein gewöhnlicher Brief, sondern eine Zeichnung mit lieben Worten. Zu sehen ist eine Statue des "Saint Jaques". Es wären Hintergrundinformstionen nötig, um die gänzliche Bedeutung dieses Briefes zu erklären und genau das macht ihn so kostbar für mich. Dieser Jaques ist jedenfalls für meine Sammlung, denn ich suche in jeder Kirche und überall nach Abbildern jenes Apostels.

Bemerkenswert im Zusammenhang meiner inneren Reise ist nun die Tatsache, dass ich am liebsten bei dieser wundervollen Frau geblieben wäre, mich in topgraphischer Hinsicht jedoch ungebremst weiter von ihr entferne. Aber während ich dies schreibe, weiß ich: es muss so sein. Der Weg muss gegangen werden, unter welchen Umständen auch immer.

Ich folge also dem GR10 (Grande Randonnée 10), jenem Fernwanderweg, der vom Atlantik bis zum Mittelmeer durch die französischen Pyrenäen führt, hinauf auf über 1000 Höhenmeter. Saint Jean P.d.P. liegt nur auf etwa 170 Metern. Der Weg ist an dieser Stelle ist extrem steil und verlangt mir meine ganze Kraft ab. Ich halte mich für total verrückt, als ich oben ankomme. Ohne den schweren Rucksack wäre es anstrengend genug gewesen.

Aus der Ferne ist eine kleine Kapelle zu erkennen, die auf einer Bergspitze liegt. Dort kann ich vielleicht schlafen. Am Fuße dieses Berges angekommen finde ich Trinkwasser vor. Ich fülle meine Vorräte auf und bewältigen einen weiteren mühevollen Aufstieg. Die Aussicht ist grandios. Leider ist die Kapelle zu einer Seite hin offen und der Wind bläst eisig dort hinein. In dieser Nacht werde ich den neuen Schlafsack erproben.

Aus Gewohnheit oder Vorsicht ziehe ich dickere Socken, lange Funktionsunterwäsche, Leggings und eine Fleecejacke an. Bald schon bemerke ich, wie warm es im Schlafsack ist und ziehe alles wieder aus. Guter Kauf! Am Morgen ist trotz der Überdachung alles nass, denn ich wache inmitten einer dicken Wolkenmasse auf. Ich lasse mir beim Frühstück Zeit, bis sich vor meinen Augen die Berge zeigen. Es ist eine großartige Aussicht mit den kleiner werdenden Wolken im Tal.

Auf dem Abstieg sehe ich einen Jäger. Er fährt in seinem Jeep auf dem Wanderweg, hält an und stellt sich mit seiner Flinte vor das Auto. Ich frage mich, wie sicher ich in dieser Gegend bin. Unterwegs sehe ich ab und zu Schrotpatronen liegen. Aber das ist in Frankreich nichts Neues. In einer Nacht hörte ich immer wieder Schüsse, was ich bei hiesigen Jagdmethoden unheimlich fand. Mir wurde erzählt, Jäger seien oft betrunken.

Während ich diesen Text beende, liege ich vor einer spanischen Einsiedelei im Schlafsack und wage mich nicht so recht hinaus in die Kälte. In Spanien ist vieles anders, aber davon will ich später berichten. Mein Herz hängt nun sehr an Frankreich. Ich liebe die großen Flüsse, die vielen Kanäle, die Wälder, die dünne Besiedlung und vieles mehr. Den Tag, an dem ich meine Gefährtin wieder sehe, sehne ich mir oft herbei. Dies wird dann vielleicht in Portugal sein.

Freut euch also auf neue Berichte!



Zentralmassiv - Südfrankreich - 4. Eintrag vom 27.08.2019

Liebe Leserinnen und Leser, in den letzten Tagen, Wochen und Monaten habe ich so viel erlebt, dass ich kaum noch Worte dafür finden kann. Mit bleibt nichts anders übrig, als einen Zeitabschnitt ins Blickfeld zu rücken und zwar den jüngsten. Ich schreibe euch auf einer Höhe von 70 Metern über dem Meeresspiegel im Tal der Garonne. Plötzlich will man vor Hitze kaum noch schlafen. Vor wenigen Tagen stand ich dagegen im Zentralmassiv beinahe 1400 höher und frohr in den Nächten.

Beginnen wir in Le Puy en Valley, jener Stadt, welche beeindruckende Vulkanstümpfe, auf welchen etwa eine Kirche und eine gewaltige Nortre Dame gebaut wurden, umgibt. Ich komme kurz vor zehn Uhr an und Gewitter ist gemeldet. Die Stümpfe sind beleuchtet. Es sieht aus, wie im Märchen. In der Stadt ist ausgerechnet jetzt ein Fest mit Lichtinstallationen. So vergeude ich wertvolle Zeit, bis ich die Pilgerherberge finde, von welcher mir in einer Touristeninfo 14 km zuvor erzählt wurde. Die Frau dort (übrigens eine Deutsche) hatte angerufen und es war noch ein Platz frei gewesen. Ob dieser jetzt noch zu haben ist? Im Innenhof der Herberge sitzt ein Mann und raucht. Ich soll reingehen und fragen. Der Betreiber will mich nicht mehr aufnehem. Es sei zu spät und störe die anderen Gäste. Kurz gesagt: es mussten zwei andere Pilger lange auf ihn einreden, bis er nachgab und ich einen Platz erhielt. Es war warm und stickig, aber sicher vor dem Gewitter.

Noch vor 6 Uhr stehe ich am nächsten Tag auf und packe alles zusammen. Unten gibt es das typische französische Frühstück: Baguette mit Konfitüre und Joghurt. Dazu noch Kaffee in einer großen Schüssel. Um 7 Uhr beginnt die heilige Messe. Der Bischof scheint lustig drauf zu sein, denn viele kichern gelegentlich. Ich verstehe nichts. Auch wenn ich nicht an der Eucharistie teilnehmen kann, so erhalte ich doch den Segen für meine Reise.

Schwierige und steile Wege führen die große Pilgerzahl immer weiter hinauf ins Gebirge. Bald sitze ich im Schatten eines Baumes und lade eine Applikation zum Lesen der Bibel herunter. Ich weiß, dass die Bibel unsere Kultur maßgeblich beeinflusst hat und sollte nicht nur das neue sondern endlich auch das alte Testament vollständig lesen. Daran bin ich vor Jahren beim 2. Buch Mose gescheitert.

Dass ich mit einem mal nicht mehr der einzige Pilger bin, sondern mich unzählige Mitläufer umgeben, verwirrt mich ein wenig. Bin ich jetzt nur noch einer von vielen? Immerhin laufe ich doch den ganzen Weg... Auf große Gastfreundschaft hoffe ich jetzt jedenfalls nicht mehr. Folglich schlafe ich draußen und ernähre mich im Supermarkt - wenn denn einer zu finden ist. Erschreckenderweise sind die Läden auf dem französischen Lande montags geschlossen und sonntags haben sie nur bis mittags geöffnet. So suche ich mir am Samstag einen Platz nahe dem nächsten Laden. Es ist ein steinernes Gewölbe in der Nähe einer Kirche. Diese Kirche war einst Teil einer Burg hoch über dem Handelsweg im Tal. Pilger haben hier schon vor Jahrhunderten Schutz gefunden.

Am nächsten Tag treffe ich auf andere Pilger. Nun laufe ich nicht mehr immer allein. Doch wer nicht immer in sogenannten "Gîtes" übernachtet, hat weit weniger Kontakt, als andere. Mir ist es recht. Irgendwie schaffe ich es immer, einen Platz zum schlafen zu finden oder mich und eine Sachen zu waschen. Da es hier oben viel kühler ist, brauche ich mich gar nicht mehr so oft zu waschen. Dafür sind die Nächte nicht sehr angenehm. Eines Tages habe ich jedoch Glück. Ich komme in ein Dorf, mit einem dieser kleine Häuschen zum Brotbacken. Darin glühte noch Feuer und ich darf nachlegen und es mir bequem machen.

Da ich immernoch sehr lange schlafe und den Morgen langsam mit einpacken und frühstücken beginne, laufen täglich unzählige Pilger an mir vorbei. Abends hohle ich sie dann spätestens wieder ein. Meistens zu mindest. Andere Pilger, die den ganzen Weg laufen, jedoch weit weniger Gepäck als ich haben, da sie nicht biwakieren, laufen täglich etwa 40 Kilometer. Diese Distanz schaffe ich nur gelegentlich.

Die Landschaft des Zentralmassiv ist vielfältig. Man scheint mindestens drei Klimazonen zu durchlaufen. Oben ist es ganz karg und es gibt viele Kühe. Dann gelangt man durch ewig lange Eichenwälder mit Dolmen und zuletzt wird es ganz mediterran. Es heißt sicher nicht ganz zu Unrecht, dass es der schönste Abschnitt des Jakobsweges sei. Große Bauwerke findet man jedoch selten. Conques ist ein Touristenmagnet, obwohl es laut einer lokalen Frau nur 80 feste Einwohner hat. Das steinerne Dorf hat nicht nur eine beeindruckende Kirche, sondern auch eine Brücke, über die schon unzählige Pilger gegangen sind. Ganz ähnlich verhält es sich mit Cahors.

Am Vorabend eines weiteren Gewitters werde ich durch den Hinweis einer deutschen Pilgerin mit einer Französin bekannt, die ebenfalls vornehmlich draußen schläft. Als wir uns verabschieden, da sie witterungsbedint in einer Gîte übernachtet, sagt sie auf eine Weise, die mir zu verstehen gibt, dass sie es so wünscht, dass wir uns am nächsten Tag wiedersehen könnten. Am Abend finde ich einen regensicheren Platz und lese in den Apogryohen, bis es heftig gewittert. Vor Schreck bete ich zu Gott, dass mir nichts geschieht. Auch die Französin denkt an mich und als am Morgen wieder alles an mir vorbeizieht, ist sie schließlich dabei. Fast fünf Tage lang sind wir ständig bei einander. Mit einem Male war das eben so und wie es kam, endete es auch. Und plötzlich fehlt etwas. Und vorher war mir gar nicht so ganz klar, was das sein würde. Doch es erinnert mich unwillkürlich an die Bibel am Anfang der Genesis: "Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht." Man kann nicht bestreiten, dass das Alleinsein Vorzüge hat, doch eine gute Gefährtin ist etwas unheimlich kostbares - wenn man so will, ein Geschenk Gottes.

Glück auf - euer Bergkamerad Joe



Rheinüberquerung - 3. Eintrag vom 14.07.2019

Es war bereits der 6. Juli. Nach 33 Tagen seit Beginn meiner Reise gelangte ich nach Hartheim, dem letzten Ort vor der Rheinüberquerung (siehe Bild). In der Hitze der Mittagszeit habe ich den vorerst letzten Berg überschritten. Durch unzählige Reben hatte ich in das grosse Tal bis weit hinüber zu den Vogesen geblickt.

In Hartheim stand nun ein Fest an, welches am Abend eröffnet werden sollte. Wie durch Zufall kam ich mit Organisatoren des Festes ins Gespräch und so kam es, dass ich zur Eröffnungsansprache dem ganzen Dorf vorgestellt wurde. Ganz verlegen winkte ich aus der Menge.

Doch wie würde der Tag enden? Ehrlich gesagt, hatte ich es nicht besonders eilig, die nächste Grenze zu überschreiten. Ich würde mich wieder auf eine andere Kultur und Landschaft einstellen müssen. Und wie würde ich mich - ohne je Französisch gelernt zu haben - verständigen können? So beschloss ich, am 7. Juli einen Ruhetag zu halten, an dem ich meinen Rucksack neu sortieren, Wäsche waschen und duschen konnte. Wunderschön war der Blick aus dem riesigen flachen Tal zum oberen Schwarzwald. Mit dem goldenen Getreidefeld davor mutete diese Gegend wie eine italienische Landschaft an.

Am nächsten Tag sollte es dann in den Elsass gehen. Als ich den Rhein überquert hatte, musste ich erst einmal Straßen und später viele Kilometer monotonen geradlinigen Feldwegen folgen, doch dann ging es wunderschöne bewaldete Flüsse und Kanäle entlang. An der burgundischen Pforte endete das Tal, in welchem übrigens auch Braunkohle (siehe Bild) abgebaut wurde. Bald schon erreichte ich den letzten Ort im ehemals deutschsprachigen Raum. Dort befindet sich ein Benediktinerinnenkloster. Bei meinem Eintreffen gab es Mittagessen für eine Gruppe von Frauen, welche eine Woche lernten, orthodoxe Ikonen (siehe Bild: heilige Ottilie, Schutzpatronin des Elsass) zu malen. Nach einigem Zögern beschloss ich zu bleiben, da ein paar Bewohner deutsch sprachen. Im benachbarten Altenheim lernte ich eine 92jährige Elsässerin kennen. Sie erzählte, dass man zur Zeit der Annexion 1940 bis 1944 kein Wort französisch sprechen durfte. Heute lernen von den Kindern nur noch 2 von 10 Elsässisch.

Die nächste Station war Belfort, deren zum Teil fast 400 Jahre alten Festungsanlagen sehr beeindruckend sind (siehe Bilder). Im Deutsch-Französischen Krieg wurde die Stadt nicht besetzt. Obwohl dort viele Familiennamen deutsch sind, wird hier schon lange vornehmlich französisch gesprochen und so wurde dieser Teil des Elsass 1871 nicht annektiert.

Mittlerweile habe ich mich schon etwas in Frankreich eingelebt und auch ein paar französische Wörter und Sätze gelernt. Am Anfang war das beinahe einzige französische Wort, welches ich sprechen konnte "tampon" - Stempel. (In dieser Periode brauche ich also täglich ein Tampon. Na toll.)

Alles in allem ist es zwar etwas schwieriger als bisher doch das Land ist wirklich schön und die Menschen sind freundlich.



Tick Tack Tick Tack - 2. Eintrag vom 01.07.2019

Tick Tack Tick Tack - so klingen meine beiden Wanderstöcke, von denen einer klassisch aus Holz und der andere ein moderner Trekking-Stock ist.
Tick Tack Tick Tack. So geht es Tag für Tag, an dem ich nicht weiß, was mich erwarte. Die große Hitze habe ich gelernt zu ertragen und von Unwettern blieb ich bisher verschont.
Gott sei dank!

Und so laufe ich über viele Ländergrenzen hinweg und freue mich über die regionale kulturelle Vielfalt, welche dieser Tage noch in Deutschland besteht und sich an der Mundart äußert. Zu erst kam ich nach Oberfranken, wo man noch von "Labla" spricht, sind es in Mittelfranken "Weckla". Geht es dann ins schwäbisch Hallsche und württembergische, heißt es "Brötle" und "Weckle". Überrascht war ich von den klaren Dialektegrenzen denn von einem Dorf zum nächsten kann deutlich anders gesprochen werden. Doch nicht nur die Mundart, sondern auch die Bauweise von Kirchen und Wohnhäusern unterscheidet sich von Region zu Region ebenso wie die Forst- und Landwirtschaft.

Nach vier Wochen des Pilgerns frage ich mich schon manchmal, ob es nicht ziemlich verrückt ist, sich freiwillig dieser physischen und mentalen Belastung auszusetzen und doch bestand für mich nie der Zweifel, dass ich mein Ziel erreichen würde, denn ich habe mich schließlich fest dazu entschieden.

Und was ist am Pilgern belastend? Für mich ist es vor allem die Einsamkeit. Zwar treffe ich immer wieder liebe Menschen und habe eine schöne Zeit mit ihnen, doch schon nach einem oder zwei Tagen heißt es Abschied nehmen. Die Bedeutung fester soziale Bindungen ist nicht zu unterschätzen, für den, der sie immer hat jedoch leider oft selbstverständlich.

Doch im Herzen bleibe ich immer mit der Heimat verbunden. So las ich unterwegs den Spruch: Zuhause bin ich da, wo ich bleib', wenn ich geh. Während ich nun also in der Ferne bin, bleibt doch ein Teil von mir bei euch. Aus dem Schwarzwald grüßt Bergbruder Jacob.


Tübingen


Kloster Bebenhausen

Bergbauspuren im Schwarzwald

GLÜCK AUF !!!


Ein Pilger auf Wallfahrt - 1. Eintrag vom 12.06.2019

Liebe Knappschaft, nun bin ich bereits seit einer Woche auf dem Weg und habe so viel erlebt, ohne viele Kilometer zurück zu legen. In Sachsen war das Wandern noch eine ziemliche Qual. Das Gepäck war einfach zu schwer und ich erleichterte mich in Plauen ein wenig, indem ich unter anderem einen leichteren Schlafsack kaufte. Jetzt wiegt mein Rucksack 13,5 kg. All diese Details möchte ich jedoch nun beiseite lassen und euch stattdessen eine einzelne Passage erzählen.
Nachdem ich mich in Helmbrechts schon richtig zu Hause gefühlt hatte, da ich als erstes dem Bürgermeister vorgestellt wurde, dann eine Unterkunft bekam, darauf an einer Chorprobe teilnahm und am nächsten Morgen in einen Literaturcafé sogar noch zum Frühstück eingeladen wurde, ging es gestärkt weiter.

Schon am Vorabend hatte ich vom Wallfahrtsort Marienweiher gehört, der zu Pfingsten ein beliebtes Ziel sei und schließlich traf ich auch auf sogenannte Wallfahrerinnen, denen ich mich anschloss. An diesem Samstag, so wurde mir erzählt, liefen aus verschiedenen Richtungen Gruppen zwischen 45 und 70km zu einer päpstlichen Basilika in einem kleinen Dorf. Wallen ist nicht pilgern, denn es findet nicht über einen langen Zeitraum statt.

Nun hatte ich erst etwa 17 km zurückgelegt und eigentlich wollte ich nach so kurzer Strecke nicht verweilen, doch dieses Ereignis sollte mir (und damit euch) nicht entgehen. Als wir in Marienweiher ankamen, waren noch längst nicht alle Wallfahrer da. Ich suchte im Klosterbau nach einem Stempel für meinen Pilgerausweis und fragte nach einer Unterkunft. Ein Mönch schaute kurz in den Raum hinter sich und fragte, ob es auch höher gelegen sein könne. Warum nicht? So erhielt ich den letzten Schlafplatz und damit auch noch den höchsten! Im Saal ruhten sich die Wallfahrer schon aus und schliefen sogar. Da ging ich zum Speisen in eines der drei Wirtshäuser und setzte mich zu einer älteren Dame, die mir erzählte, dass hier frühe sehr viel mehr los gewesen sei. Damals kamen Reisebusse und auch vor der Basilika lauschten hunderte der Predigt. Es gab mehr Stände usw. Jetzt hielt es sich dagegen in Grenzen.

Zurück bei den erschöpften Wallfahrern im Schlafsaal, wartete ich auf den Beginn der heiligen Messe. Da kam der Bamberger Bischof den Gang entlang und sagte in väterlichem Ton: "Na, habt ihr euch gut ausgeruht." Mich grüßend gab mir die Hand. "Grüß Gott!"

In der Basilika fand ich am Ende leider keinen Sitzplatz mehr. Nach den Wanderungen der letzten Tage waren meine Kniegelenke strapaziert und ich verlagerte das Gewicht immer wieder vom einen zum anderen Knie. Nun bahnte sich ein streng geregeltes Ritual an, das mir doch sehr befremdlich erscheinen musste. Die Fahnenträger verließen die Basilika durch das Portal und ein wenig später mit dem Bischof und den Mönchen bzw. Patres (darunter übrigens ein Pole und ein Inder) zurück zu kehren. Das gesamte Programm mit vielen Gesängen, Gebeten usw. dauerte fast drei Stunden. Interessant war dabei vor allem die Prozession durch den Ort, denn unsere Bergparaden haben in solchen Prozessionen sicher auch einen Ursprung. Mit Blasmusik, Fahnen und Standarten, die aber ganz aus Holz waren, (wie nennt sich das?) zog eine große Menschenmenge mit Kerzen in den Händen durch den Ort. Dabei wiederholte sich permanent das Ave Maria, was ich am Ende selbst schon mitzurufen begann.

Als in der Basilika ein Chor gesungen hatte, war es schon richtig dunkel und es ging auf die Wirtshäuser zu. Ein Wallfahrer nahm mich mit. Er hatte bemerkt, dass ich Pilger bin. Seine frommen Empfindungen konnte ich irgendwie nicht teilen. So erzählte er, er habe einen 85 Gramm schweren Stein aus der Heimat mit nach Spanien genommen, nachdem er auf diesen all seine Sorgen und seinen Kummer gelegt hatte. Am Jakobsweg gibt es einen Berg, wo man solche Steine ablegt. Er sagte in voller Überzeugung, sein Rucksack sei danach 5 kg leichter gewesen. Nunja, im Wirtshaus wurde ordentlich gesungenen. Es klang gut, aber ich kannte die Lieder nicht. Gegessen und getrunken wurde natürlich auch, aber lange blieben wir nicht. Zurück im Schlafsaal war ich dort der letzte. Auch wenn andere Wallfahrer durchzechen, diese hier standen am nächsten Tag schon um 4 auf, denn jede Wallfahrer-Gruppe hatte eine bestimmte Zeit, um zu starten, damit jeder die sanitären Einrichtungen nutzen und in der freiwilligen Feuerwehr frühstücken konnte.

Und das war der Tag an dem ich einen Bischof die Hand geben durfte.

Aus Franken grüßt euch, Joe.

REQUEST: JoeJacob